Samstag, 31. Oktober 2009

Die Glatze

Was ist eigentlich dran an ihr? Ich sehe da nichts. Nicht ein Haar. Ok, sonst wäre es ja auch keine Glatze.

Wer sein Haupt unbedingt rasieren möchte, der soll es tun. Aber was steckt dahinter? Es muss doch einen Grund geben, wenn Mann sich von seinen Haaren trennt. Nur um trendy auszuschau`n greift er doch nicht zum Rasiermesser, oder? Keine Ahnung was in den Kahl-Köpfen vorgeht, aber nicht jedem steht so ein glatt rasierter Kopf und das steht für mich fest wie das Amen in Kirche.

Erst neulich stand einer vor meiner Haustür. Beim Anblick der glänzenden Kopfhaut bin ich regelrecht erschauert. Uuuaaah, was für eine fette Krampfader, ging mir durch den Kopf, und dass ich bis dato nicht wusste, dass man auch im Kopf Krampfadern haben kann. Desweiteren dachte ich, oh Gott, der arme Mann.
Ansonsten sah der Mann, der sich als Außendienstmitarbeiter einer Versicherung (nicht irgendeiner sondern meiner) vorstellte, recht passabel aus. Eigentlich hätte er sich den Auftritt sparen können, ich bin ausreichend versichert und das reicht mir, ich meine, es reicht mir eh mit der Versicherung. Dies aber nur so am Rande. Also - der Mann trug einen dunklen Anzug, helles Oberhemd, keine Krawatte, dafür aber ein Goldkettchen. Ein goldenes ums Handgelenk, ein hundertprotzentig vergoldetes um den Hals. Sah also recht solide aus. Nicht etwa, dass ich die Vollglatze unseriös fand, ich fand sie halt nur etwas durchsichtig, weshalb auch meine Phantasie ein wenig mit mir durchging. Immerhin soll es vorkommen, dass Adern platzen. Au Backe, dachte ich, die Platzwunde möchte ich nicht seh´n, die sich blau-rot über den glänzenden Glatzkopf erstreckt. Wenn ich mich recht erinnere, hat Gorbatschow, der Erfinder der umgebauten Troika, auch so ein Problem bzw. Flecken oben am Kopf. Aber will ich mich hier nicht über Personen auslassen, die einen Geburtsfehler aufweisen oder mit angeborenen Leberschäden bzw. –flecken behaftet sind. Außerdem muss nicht jeder, der Wodka trinkt, mit Lebersprenkeln übersät sein.
Ach Serge, ähm, Herrje, jetzt bin ich wieder völlig abgedriftet. Quasi in einem Satz von Höckchen, dem Versicherungsvertreter der auch so heißt, auf Stöckchen bzw. Michail, der nicht Serge sondern Sergejewitsch heißt.

So – jetzt aber wacker zurück zur Glatze. Diese leuchtende Kugel im weißen Kragen fand ich alles andere als anziehend. Himmelherrgott, der gutgebaute Mann sah ja so was von nackig aus .. auch ohne ihn mit den Augen ausgezogen zu haben. Am liebsten hätte ich ihm mein Stroh-Hütchen aufgesetzt, so wahr ich hier sitze. Aber als dann zwei rehbraune Augen, leicht grün durchzogen, wie Blinklichter, nein, wie Leuchtkugeln auf mich zielten, vergaß ich alles um mich herum. Halt. Nicht alles, ich meinte doch nur die Glatze um dieses nette Gesicht herum. Wie dem auch sei, auf einmal war sie verschwunden. Futsch und weg. Vor meiner Tür standen nur noch er und ich und dieses makellose Angesicht. Und strahlend weiße Zähne, die standen wie eine Eins. Locker in seiner Haltung öffnete der Schönling dezent sein Jackett und mir fiel auf, dass es doch sehr schwül geworden war .. im Hauseingang. Und was sage ich, werter Leser, was mir da entgegensprang, habe ich der Form noch nie gesehen. An Formschönheit überbot, jawohl Sie lesen richtig, eine Gürtelschnalle bei weitem all das, was ich bis dato erfasste bzw. wahrzunehmen vermochte.

Seit dieser Begegnung, und das kann Mann mir glauben, habe ich an Durchblick, wenn nicht sogar an Einsicht gewonnen. Das heißt, sobald mir ein Glatzkopf den Weg kreuzt, betrachte ich diesen aus einem ganz anderen Blickwinkel. Nämlich mit einem Blick von oben herab, im positiven und mit nichts anderem im Sinne, direkt auf seine Schnalle;-)

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Osterhasen 2010

Der September hielt seinen Einzug mit Sturmangriffen. Die Sonne ließ sich von einem Tag zum anderen kaum noch blicken und wenn, dann nur um die vor ihrer Nase herumtanzenden Wolken zu sticheln. Herbststimmung machte sich überall breit – in den Gärten, in der freien Natur und natürlich in den Geschäften.
In den Schaufenstern kokettierte schon seit Wochen die Herbst- mit der Wintermode um die Wette und der Rundständer mit den dicken Rollkragenpullovern drehte sich vor Vorfreude auf den bevorstehenden Winter im Kreise.
„Der Sommer ist gelaufen“, neckte ein etwas kecker Kashmir-Schal das anschmiegsame Seidentuch und umschlang es der Länge nach. Das dünne Tuch war viel zu verweichlicht um sich gegen den breiten Schal zur Wehr zu setzen, und ließ die Knebelung genüsslich über sich ergehen.
Überhaupt herrschte in sämtlichen Abteilungen des großen Kaufhauses so was wie Aufbruchstimmung. Es hatte den Eindruck, als wollte nichts und niemand mehr was mit dem Sommer zu tun haben, obwohl er sich eigentlich noch gar nicht verabschiedet hatte. Auf jeden Fall nicht so richtig. Immerhin stand der Altweibersommer noch bevor und die Baldachinspinnen in den Startlöchern.
Während sich in der Bettenabteilung dicke Federbetten aufplusterten, machten sich in der Handtaschenabteilung die Stoff-Täschchen auf dem Sondertisch breit. Vollendet in Form und Farbe sollten sie noch eine Chance bekommen, an die eine oder andere Frau zu kommen. Die meisten hatten sogar Glück und wurden kurzerhand mitgenommen.
Der Abteilungsleiter in der Badesachenabteilung zeigte sich rigoros. Quasi von seiner geschäftstüchtigsten Seite. Alles was Spaghettiträger oder dünne Trägerchen hatte, kam nicht auf den Sonderangebotstisch sondern aufs Lager. „Der nächste Sommer kommt bestimmt und hier wird nix verschenkt“, bestimmte er. In Null-Komma-Nix waren Bikinis, mit und ohne Strings, Badeanzüge, hauchdünne Nachthemden und Baby Doll´s weg vom Fenster bzw. Ständer und alles leergeräumt. Verträumt hingen die ersten schicken Pyjamas an den Stangen, gefolgt von warmen, angerauten Schlafanzügen. Ein Pareo hatte sich offensichtlich verirrt und anscheinend auch nicht kapiert, dass Schluss mit Durchsichtig war. So hing es fürwahr an einem warmen Frotteebademantel, im wahrsten Sinne des Wortes fest und konnte sich einfach nicht losreißen. Kein Wunder, die Verkäuferin hatte es an das Preisschild des Bademantels getackert. „Kann ja mal vorkommen“, grinste der flauschige Bademantel und fühlte sich doch sehr geschmeichelt.
Weniger geschmeichelt fühlten sich die Pfirsiche in der Lebensmittelabteilung. Man kann behaupten, dass sie regelrecht sauer waren. Einigen war sogar schlecht. Der Anblick der Lebkuchenherzen und Honigkuchen schlug ihnen dermaßen auf den Magen bzw. Kern, dass sie buchstäblich welk wurden. Von innen heraus natürlich. „Jedes Jahr dasselbe“, meckerte eine recht fleischige Nektarine. „Das gleiche. Jedes Jahr das gleiche“, verbesserte der griechische Pfirsich in der Kiste neben ihr. Dick wie er war, versuchte er sich ein wenig Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Der vorgeformte Plastikeinsatz in der Sperrholz-Kiste war viel zu knapp bemessen. „Alles Berechnung“, wog er ab, „das machen die nur, damit ich dicker ausseh´ als ich bin und die Leute nicht an mir vorbeigeh´n. Schaut nur her, wie wohlgeformt ich ohne diesen doofen Push-up-Plastikeinsatz bin“. Der von der Sonne verwöhnte Pfirsich tat sich richtig schwer aus der Beengung herauszukommen, in die man ihn seiner Meinung nach hineingezwängt hatte und ergab sich seinem Schicksal. „Lass sie doch geh´n“, erwiderten die süßen Pink Lady´s, die wie immer alles missverstanden. „Die werden sich noch wundern, wenn sie am Weihnachtsgebäck vorbeikommen“. Der Ständer mit den Lebkuchen-Backwaren drohte fast zusammenzubrechen, so voll wie er da direkt neben den frischen Früchten stand. „Wir sind euch nicht auf die Pelle gerückt“, verteidigten sich die Honigprinten und versuchten unter Verlegenheit rüberzubringen, dass sie sich selbst auch fehl am Platze fühlten. „Ihr seid nicht nur fehl am Platze“, zeterten die Nektarinen und die anderen Pfirsiche, „ihr gehört hier überhaupt nicht hin“.„Noch nicht“, versuchte ein kleiner zerfledderte Krauskopfsalat die angespannte Lage herunterzufahren, „die haben ‚noch‘ nichts hier zu suchen. Ihre Zeit kommt noch“. Der Meinung schlossen sich auch alle anderen Obst- und Gemüsesorten an, obgleich sie sich auch nicht immer saisongerecht verhielten.
Alles andere als zurückhaltend ging es im Lager des Kaufhauses zu. Eine ganze Wagenladung Schokoladen-Nikoläuse wartete darauf, im Verkaufsraum untergebracht zu werden. „Mein Gott“, meinte ein leicht Verbeulter, „jetzt stehen wir hier schon seit zwei Wochen in dieser Schwüle rum, aber keiner macht hier nur den kleinen Finger krumm“. Sein Nachbar dies hörte und auch gleich darauf reagierte. „Die stellen uns da schneller rein als uns lieb ist. Du hast wohl vergessen, dass erst September ist.“
„Himmel, das kann doch nicht wahr sein“, entgegnete der angeschlagene Santa Claus, „was sind denn das für Weihnachtsmänner, die uns im September als Weihnachtsvorboten verkaufen wollen? Das muss doch verboten werden“. Schnell breitete sich Wortgeplänkel im Karton aus. Natürlich fühlten sich auch alle anderen Schoko-Nikoläuse angesprochen und ausgesprochen weich. Im Karton war es nicht nur viel zu eng, die unerträgliche Wärme machte den Schokoladenfiguren richtig zu schaffen. „Die schaffen uns noch“, meinte ein Dahinschmelzender, der nur noch durch seine Hülle gehalten wurde. „Und die armen Kinder, die schaffen sie auch mit ihrem idiotischen Verhalten“, warfen alle anderen ein und befanden, dass die Menschen einfach nur fürchterlich sind in ihrem Konsumdenken. „Seht nur wie ich aussehe“, rief einer von ganz unten, „ich sehe genau so aus wie ihr, obwohl sie mich aus Osterhasen-Resten erschaffen haben“. „Das wirst du auch bald wieder sein..“, gab aus dem Karton nebenan ein eingeschweißter Stutenkerl zum Besten, „..ein doofer Osterhase. Nämlich spätesten dann…“. Abrupt wurde er unterbrochen. „Sei still“, ging das angeschlagene Schneemann-Teelicht vom letzten Jahr dazwischen, „lass die armen Nikoläuse in Ruh´, schließlich können die nichts dazu“. Von da an war im Lager Ruh´. Nicht ganz. „Bringt den großen Karton mit den Nikoläusen ins Kühlhaus“, donnerte eine tiefe Stimme durch den Lagerraum, dass es nur so hallte. „Und dass mir keiner auf die Idee kommt, die Weihnachtsmänner anzurühren“, dröhnte ein Echo noch hinterher.
Fleißige Lager-Helfer machten sich sofort an die Arbeit und verstauten die Riesenkiste an den Ort der Kühle. Gute Ohren hätten das leise Seufzen der Nikoläuse vernehmen können, das da im Tumult völlig unterging.
Die lautstarke Anweisung, die Nikoläuse freundlicherweise erst eine Woche vorm Nikolaustag im Verkaufsraum aufzubauen, drang durch Mark und Bein und bis zum letzten Mitarbeiter durch. Dem Personal erschien die seltsame Anordnung „von Oben“ nicht nur äußerst suspekt, auch die Stimme war absolut fremd. Nichts desto trotz - man folgte ihr mit Respekt. Um sicher zu machen, dass der Karton auch wirklich unberührt bleibt, stand er wenig später mit augenauffälliger Beschriftung „Osterhasen 2010“ im hinteren Teil des Kühlraumes und die Nikoläuse ganz unten auf der Waren- bzw. Warteliste.
Dass die Angestellten des Kaufhauses doch sehr perplex waren, als sich tags drauf die „Geschäftsleitung“ verärgert nach dem Verbleib der Schokoladen-Nikoläuse erkundigte, davon kann man ausgehen.